balkan black box

Das Fräulein – Gospoðica

Regie: Andrea Štaka; 81 Min., D/CH/BiH 2006
Wettbewerb: Golden Black Box Competition

ACUDkino, Sa, 18.11.2006 um 20:00 Uhr
Brotfabrik Kino, Do, 23.11.2006 um 20:00 Uhr

Locarno 2006: Golden Leopard, Sarajevo 2006: Bester Film/Beste Schauspielerin
Andrea Štaka wirft einen intimen Blick auf drei eigenwillige Frauen in der Schweiz, die aus verschiedenen Gegenden eines Landes kommen, das es nicht mehr gibt: Ex-Jugoslawien. Das Fräulein erzählt von Entwurzelung und Sehnsucht in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen zwischen verschiedenen Kulturen, Religionen und Ländern bewegen, sei es als Reisende, Vertriebene oder einfach Heimatlose.



Mirjana Karanoviæ als Ruza
Marija Škarièiæ als Ana
Ljubica Joviæ als Mila
Andrea Zogg als Franz
Zdenko Jelèiæ als Ante
Pablo Aguilar als Fredi



Nach den beiden erfolgreichen Filmen «Hotel Belgrad» (Kurzfilm) und «Yugodivas» (Dokumentarfilm) präsentierte die Regisseurin Andrea Štaka ihren ersten grossen Kinospielfilm «Das Fräulein» im Wettbewerb des diesjährigen Internationalen Filmfestivals von Locarno.

Ruža, 50 Jahre alt, kam vor 25 Jahren voller Hoffnung auf ein neues und besseres Leben in die Schweiz. Heute hat sie nur noch eine Passion, das Geld. Ruža besitzt eine Betriebskantine in Zürich, die sie mit strenger Hand und gutem finanziellen Erfolg führt. Ihr Leben verläuft in geordneten Bahnen und besteht aus geregelten Abläufen: die Arbeit in der Kantine, das Zählen der Tageseinnahmen im Büro, das Abendbrot in ihrer kleinen Zürcher Wohnung. Ruža hat sich in der Schweiz eine Existenz aufgebaut und denkt nicht daran, in ihre Heimat Serbien zurückzukehren. Ganz anders als Mila, 60, ihre langjährige Angestellte, die mit ihrer Familie seit Jahrzehnten in der Schweiz lebt und hart arbeitet, um sich bald den Traum vom eigenen Haus in Kroatien erfüllen zu können.

Das geregelte Leben der beiden Frauen und der Alltag in der Kantine geraten aus den Fugen, als die 22jährige Ana aus Sarajevo auftaucht. Ana, lebenshungrig, schön und eigenwillig, streift ziellos umher, auf der Flucht vor ihrer eigenen Vergangenheit: Der Krieg in Bosnien hat tiefe Spuren in ihr hinterlassen, die sie mit ihrer lauten und frohen Art zu überspielen versucht. Ana muss den Job in der Kantine aus Geldnot annehmen, sie arbeitet gut, stellt jedoch Ružas strikte Ordnung infrage. Nachts streift Ana, die ihre Obdachlosigkeit in der Kantine verheimlicht, allein durch die Stadt und sucht Unterschlupf und Nähe bei wechselnden Männerbekanntschaften.

Ruža fühlt sich von Anas Impulsivität und Direktheit in ihrer Ruhe bedroht, gleichzeitig von der Lebensfreude der jungen Frau angezogen. Nicht zuletzt erinnert Ana sie daran, wie sie selbst einmal war. Währendessen ist Mila beleidigt, weil Ana Ružas ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, und sie sich auch zu Hause unverstanden fühlt.

Die Überraschungsparty in der Kantine, die Ana für Ružas Geburtstag organisiert, spitzt die schwelenden Konflikte zwischen den drei Frauen zu und gibt den Anstoss zu einer Reihe von Veränderungen: Ruža öffnet sich, sie tanzt zu serbischer Volksmusik, lacht und amüsiert sich. Am nächsten Morgen wacht sie nicht nur mit einem Kater auf - Anas Überraschungsparty hat auch ihren Blick auf das eigene Leben verändert, ihr Appetit auf ein farbigeres, reicheres Leben jenseits der Routinen ihres Alltags ist geweckt. Zwischen den beiden eigenwilligen Frauen entsteht langsam eine Freundschaft. Dennoch bleibt eine gewisse Distanz zwischen ihnen bestehen: Ruža wagt nicht, sich ganz zu öffnen, und Ana hat ein Geheimnis, dem sie sich selbst nicht stellen will.



Anmerkungen der Regie

«Das Fräulein» ist ein persönlicher Film, der mit meinen beiden Welten zu tun hat. Ich bin in der Schweiz aufgewachsen, meine Familie stammt aus Bosnien und Kroatien. Die Schweiz ist das Land, in dem ich eine schöne, ruhige, manchmal einsame Kindheit verbrachte. Das ehemalige Jugoslawien ist das Land meiner Familie. Als in den 90er Jahren der Krieg ausbrach, änderte sich das Leben meiner Verwandten, und meines. Sie waren direkt betroffen, ich war machtlos.

Der Film geht von dieser Erfahrung aus und wirft einen intimen Blick auf drei eigenwillige Frauen, die heute in der Schweiz leben und aus verschiedenen Gegenden eines Landes kommen, das es nicht mehr gibt. Während Ruža und Mila einer Generation angehören, die Jugoslawien in den 70er Jahren in der Hoffnung verliess, in Westeuropa den wirtschaftlichen Aufstieg zu schaffen, ist Ana eine Globetrotterin, die nicht zuletzt der Erfahrung des Krieges zu entkommen versucht. Alle drei Frauen tragen etwas Unausgesprochenes in sich, einen Schmerz. Ruža verdrängt ihre serbische Herkunft, Mila zweifelt am alten Traum einer Rückkehr nach Kroatien, Ana, die Bosnierin, überspielt mit ihrer fast schon exzessiven Lebensfreude eine lebensbedrohende Krankheit.

«Das Fräulein» erzählt von Entwurzelung und Sehnsucht in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen zwischen verschiedenen Kulturen, Religionen und Ländern bewegen, sei es als Reisende, Vertriebene oder einfach Heimatlose. Jugoslawien und der Krieg stehen nicht im Vordergrund. Ohne ihre Herkunft und Geschichte aber lässt sich die Sensibilität der Figuren, ihre Art zu handeln und die Welt um sich herum zu sehen, nicht verstehen. Zugleich wollte ich auch einen Film über die Schweiz machen, über ein Land, das mich mit seiner Mischung aus Multikulturalität und Selbsteinschlie�ung immer wieder aufs neue fasziniert. Daher auch die Wichtigkeit des Schauplatzes Zürich: eine europäische Stadt, aggressiv, befremdend, aber auch verloren und schön.

Mein Interesse gilt dem Persönlichen und Intimen, den Beziehungen zwischen diesen Frauen. Die Protagonistinnen treffen aufeinander, erleben für eine kurze Zeit Nähe und trennen sich wieder. Dabei werden ihre Verletzungen und Abgründe, aber auch Wünsche und Sehnsüchte sichtbar. Politik interessiert mich in diesem Film wie auch schon in «Hotel Belgrad» und «Yugodivas» insofern, dass sie durchs Prisma des Persönlichen und Intimen gebrochen aufscheint.