Die These von den zwei Kulturen: Als im Zuge der kroatischen Präsidentschaftswahlen 2000 Stipe Mesic gewählt und damit die Ära des inzwischen verstorbenen Autokraten Franjo Tudjman formal beendet wurde, reagierte ein Politiker mit der Bemerkung: "Rock siegt über Folk".
Nicht erst seit der ideologischen Bipolarität innerhalb der USA wissen wir von den "zwei Kulturen" innerhalb heutiger Gesellschaften, von der beispielsweise jüngst sowohl die Kulturtheoretikerin Andrea Zlatar (in Bezug zu Kroatien), als auch der Schriftsteller D. Schneider (in Bezug zu den USA) sprachen. Das was gemeint ist, ist leichter gemeint, als gesagt, denn die alte Aufrechnung der "Midwest-Redneck" bzw. Balkan-Rückständigkeit gegen eine universal-zivilisatorische Entwicklung, wie man sie üblicherweise mit Urbanisierung und Modernisierung verbindet, ist leider zwar eine Wahlkampf-taugliche, aber oftmals unkritische Vereinfachung sozialer Realitäten. Der von Bogdan Bogdanovic 1992 im Zusammenhang mit den Zusammenbruch Jugoslawiens festgestellte balkanische "Krieg gegen die Stadt" wirkt daher wie die Spitze eines vermeintlichen Antagonismus, den es aber so nie gegeben hat (- gewissermassen ein Eisberg, der nur aus seiner Spitze besteht). Die von Bogdanovic bemühte Tiefenstruktur eines ländlichen Tätertyps ist allem voran in Literaturcliquen städtischer Provenienz entwickelt und genährt worden. Der rurale Serbismus wurde so erst in der serbischen Stadt zum Götzenbild nationalistischer Megalomanen, ebenso wie die in den 90er Jahren evozierte Welle des Naiven, Ursprünglichen, Folkloristischen, die in Kunst, Musik und Film zum Gestaltungsmittel der neuen alten Nachfolgestaaten Jugoslawiens wurde.
Bauer vs. Bürger/ seljak i gradjanin: Die Begriffe 'Bauer' und 'Bürger' treten auffallend häufig in verschiedenen südosteuropäischen Landessprachen mit einem vergleichbaren Bedeutungsspektrum auf, das sich so im Deutschen nicht findet: Sie stehen hier für den Gegensatz zwischen dem vermeintlich konservativ und normativ-rigiden "Dörfler" sowie dem "Städter"/"Staatsbürger", dem idealen Subjekt demokratischer Systeme. Damit illustriert das Begriffspaar jedoch nur bedingt eine Stadt-Land-Thematik, sondern verweist vielmehr auf wirkungsmächtige Klischees und mentale Bruchlinien in der gesamten Gesellschaft. Der verdächtig griffige und greifende Antagonismus von 'Bauer' und 'Bürger' findet sich in diesem Sinne auch in aktuellen politischen Kontexten wieder, wenn etwa die Wahl des kroatischen Präsidenten Stipe Mesic mit den Worten "Rock siegt über Folk" kommentiert wird oder nationalistische Parteien in ihrer Programmatik und Rhetorik auf Werte wie Kollektivismus und rückwärtsgewandten Traditionalismus setzen um den mündigen 'Bürger' zur Wahl aufzurufen und damit zur Partizipation in der parlamentarischen Demokratie, paradoxerweise einer zutiefst modernen Institution. Doch was macht die Spezifik des "Bäuerlichen", des vermeintlich Archaischen aus, und worin liegt - kontroverserweise - seine Attraktivität und Modernität? Inwiefern unterstützt ein westlicher Balkan-Exotizismus den Rückschritt ins Traditionelle, während der Blick von der anderen Seite nach scheinbar Modernem im Westen sucht?
Indem balkan black box Kulturschaffende aus unterschiedlichen Regionen Südosteuropas zusammenbringt, sollen Blickwechsel provoziert und die identitätsstiftenden Momente dieses polarisierenden Modells aus transnationaler Perspektive künstlerisch auf- und angegriffen werden. Um dieses Vorhaben möglichst facettenreich umzusetzen, haben wir thematische Schwerpunkte innerhalb der Gesamtkonzeption gesetzt.
Leitfragen...
- give and take, steal and mutate - Aneignung der Stadt zwischen Identitätspolitk und Überlebenskunst
- Turbo-Folk als Opium für's Volk? Musikkultur und Nationalismus
- Exotizismus und Balkankult - der westliche Blick auf das östliche Dorf
- "Projections of Trans-European Exoticisms" - zwischen Adaption und Dekonstruktion der populärsten Balkan-Klischee
Regiofokus: Während in den letzten Jahren vor allem Kultur aus Ex-Jugoslawien im Zentrum des Festivals stand, wird sich die Perspektive nun erweitern. Der regionale Fokus liegt in diesem Jahr auf Bulgarien, das als künftiges Beitrittsland der EU bisher sowohl in Berlin als auch im internationalen Kontext verhältnismäßig wenig Beachtung erfahren hat.