bbb 2002 >> film >> Interview mit Martin Lettmayer, Coregisseur: "Yugoslavia - the avoidable war"

"Yugoslavia - the avoidable war"

Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit der Balkanthematik zu beschäftigen?

Martin Lettmayer: Als der Krieg auf dem Balkan losging, war ich gerade anderthalb Jahre beim Fernsehen und berichtete aus osteuropäischen Ländern. Unmittelbar nach Kriegsbeginn wurde ein österreichischer Journalist in Ljubljana von einer Granate getötet. Ich war zu der Zeit in Salzburg, gerade mal 200 km von der slowenischen Grenze. Was da passierte, hat mich natürlich interessiert, dazu gab es eine Nachfrage nach Filmreportagen, und so fuhr ich umgehend als Freelancer ins Kriegsgebiet, zunächst nach Kroatien.

Dort empfingen mich schon an der Grenze vier Militärpolizisten, die mich abholten und sich sehr zuvorkommend verhielten. Sie fuhren mich überall hin, zeigten mir die von Serben zerbombten Dörfer, und hätten sogar Gräber für mich geöffnet. Das war alles sehr erschütternd und gleichzeitig sehr spannend. Ich begann mich dann nach einiger Zeit zu fragen, ob der Service nicht ein wenig zu gut war.

Welche Ereignisse führten Sie dazu, die Medienberichterstattung zum Zerfall Jugoslawiens in Frage zu stellen?

Martin Lettmayer: Ende 1992 kam in der Abendzeitung die Geschichte von Alexandra Stiglmayer über die Massenvergewaltigungen in Bosnien. Diese Geschichte erregte großes Aufsehen, der Stern und die Zeit berichteten ausführlich, es gab eine Sondersitzung des Bundestages, und es wurden Millionenspenden für die Vergewaltigungsopfer gesammelt.

Ich entschied mich, zusammen mit meinem montenegrinischen Kameramann Bozidar Knezevic in die damals serbisch besetzten Gebiete Bosniens zu fahren, um diese Geschichte nachzurecherchieren. Wir wurden vorher von deutschen Journalisten gewarnt, bloß nicht dorthin zu fahren, weil wir dort angeblich stante pede erschossen werden würden. Tatsächlich wurden wir aber vom Presseoffizier in Banja Luka zuvorkommend empfangen, erhielten eine Dolmetscherin beigestellt -- die hatte sicherlich auch die Aufgabe, genau auf uns aufzupassen -- und durften uns in diesem Rahmen ohne erkennbare Behinderungen bewegen.

War das überhaupt möglich, angesichts der Kriegshandlungen?

Martin Lettmayer: Wir sind monatelang sehr viel herumgefahren und wurden dabei wirklich nur zwei Mal auf der Straße angehalten. Ich hatte aber auch das Glück, mit Bozidar einen sehr besonnenen und fähigen Kollegen zur Begleitung zu haben. Er hat mir über vieles die Augen geöffnet und er ist niemals ein unnötiges Risiko eingegangen.

So hatten wir einmal durch Zufall in der Nähe von Mostar ein Internierungslager der Kroaten gefilmt und erhielten umgehend vom Stadtkommandanten die Aufforderung, Mostar zu verlassen, da er nicht mehr für unsere Sicherheit garantieren könne. Bozo verstand die Drohung sofort und wir packten die Koffer, obwohl uns die Geschichte natürlich interessiert hätte.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit George Bogdanich?

Martin Lettmayer: Das hing mit meinen Recherchen über die Massenvergewaltigungsstory zusammen. Ich war zu den Schauplätzen gefahren und hatte absolut keine Bestätigung der in den deutschen Medien so ausführlich beschriebenen Greueltaten finden können. Ich veröffentlichte dazu einen ausführlichen Artikel für die Schweizer Weltwoche, in dem ich meine Erfahrungen schilderte.

Es gab damals nicht viele Journalisten, die es gewagt haben, gegen den allgemeinen Strom zu schwimmen. Artikel wie meiner machten natürlich sofort in der serbischen Community die Runde. George ist ein engagierter Antikriegsaktivist aus den USA mit serbischen Wurzeln, und so lud er mich schließlich zu einem Interview nach Chicago ein. Vorher bat er mich noch, für ihn ein Interview mit Peter Handke zu führen, über den gerade diese erregte Debatte stattfand.

Über die Jahre haben wir uns so gegenseitig geholfen und Material gesammelt, das wir schließlich zu unserem Film zusammengefaßt haben.

Ist der Film, wie Kritiker sagen, proserbisch?

Martin Lettmayer: Der Film ist nicht unparteilich, aber er ist auch nicht tendenziös oder irreführend. Das Problem besteht in erster Linie darin, daß die westlichen Medien damals sehr einseitig berichtet haben. So wurden Milosevic und die Serben dämonisiert und die Verbrecher der anderen Seite wie Tudjman oder Izetbegovic als makellose Demokraten hingestellt.

Unser Film rückt diese Einseitigkeit zurecht, aber das heißt nicht, daß er Milosevic verteidigt, im Gegenteil.

Wie erklären Sie sich dann die teilweise wütenden Reaktionen?

Martin Lettmayer: Manche Leute wollen wohl nicht an die Fehler ihrer Vergangenheit erinnert werden. Im übrigen hat der Film im großen und ganzen sehr gute Kritiken bekommen und eine Menge ausgewiesener Experten haben sich sehr positiv geäußert.

Cedomir Kolar, Koproduzent von "No Man's Land", hat George Bogdanich vorgeworfen, er wolle die Geschichte umschreiben...

Martin Lettmayer: Vielleicht sollte man Lord Carrington dagegen stellen, der gesagt hat, unser Film sollte von allen gesehen werden, die sich für die Situation in Jugoslawien interessieren. Also scheint die Art, wie der Film die Geschichte "umschreibt", mindestens von involvierten und honorigen Kennern der Materie als nicht ganz falsch angesehen zu werden.

Hätte man das Blutvergießen und die Kriege vermeiden können?

Martin Lettmayer: Ich glaube schon. Das ist auch die Ansicht der britischen Journalistin Nora Beloff und des deutschen Ex-Generals Heinz Loquai, die zu den Kriegen in Kroatien und Bosnien bzw. im Kosovo Bücher mit einem entsprechenden Titel geschrieben haben.

Leider haben die Verantwortlichen offenkundig nichts aus der Misere gelernt. Die gleichen Fehler, wenn das nicht ein viel zu gnädiges Wort ist, werden unablässig wiederholt und in der Rückschau meinen diese Leute, stets das Richtige getan zu haben. Die Gegenwart ist entsprechend, und vor der Zukunft packt mich, wenn ich ehrlich bin, das Grausen.